Eröffnungsvortrag zur Ausstellung „Immer eine Tasche zur Hand“ im Stadtmuseum Gerlingen
Vortrag zur Ausstellungseröffnung „Immer eine Tasche zur Hand“ im Stadtmuseum
Gerlingen am 3. April 2005
Dr. Margarete
Meggle-Freund
Einleitung:
Was haben Sie heute in Ihren Taschen dabei? Welche
Geheimnisse birgt Ihre Tasche? Welche Tasche haben Sie gewählt? Die meisten
Herren unter uns bringen wahrscheinlich, die Dinge, die sie heute benötigen, in
den Taschen ihrer Kleidung unter. Die Damen dagegen haben wohl eine stilistisch
auf ihre Kleidung abgestimmte Tasche gewählt. Schlüssel und Geld wird sich wohl
in den Taschen aller finden. Warum verhalten sie sich dann aber so
unterschiedlich?
Vom Schulranzen der Kinderzeit bis zum Schlüssel des
Altenheimzimmers – unser ganzes selbständiges Leben sind wir gezwungen, alle
Tage Dinge und Taschen mit uns herumzutragen. Das Gebrauchsfeld Tasche ist
gekennzeichnet durch eine große Spannweite: Es gehört dazu die Hosentasche
eines Lausbuben mit tausend Kleinigkeiten in ihrer Tiefe, wie eine elegante
Damenhandtasche. Einkaufskörbe, Rucksäcke und Aktenkoffer, ebenso Taschen in
der Kleidung, aber auch Taschenverweigerung zählen dazu. Schon Ötzi hatte einen
Beutel dabei. Deshalb gelten Taschen in der Modegeschichte auch als die
ältesten Accessoires.
[i]
Die Ausstellung präsentiert uns dementsprechend eine große
Spannweite an Taschen aus unterschiedlichen Zeiten, Materialien, Formen und für
die verschiedensten Bedürfnisse. Bei einer Ausstellung stehen natürlich die
Objekte im Vordergrund. Als Ergänzung dazu möchte ich heute einmal die Seite
wechseln und die Benutzter zu Wort kommen lassen. Von den Erfahrungen der
Taschen-Nutzer aus schauen wir dann die Taschen vielleicht neu an.
Darf ich ihnen dazu einige Ergebnisse meiner
Magisterarbeit
[ii]
vorstellen. Zum Umgang der Menschen mit ihren Taschen, dem was sie in der
Tasche tragen und wie sie darüber sprechen. Im Taschenbüro des Münchner
Fundamtes habe ich 30 Personen befragt. Der aktuelle Verlust ihrer Tasche war
ihnen Anlaß über etwas sonst ganz selbstverständliches wie Taschen zu
sprechen.
Aus der Fülle des Materials greife ich hier drei Bereiche
heraus. Aus verschiedenen Blickwinkeln soll das Gebrauchsfeld Tasche beleuchtet
werden. Zuerst möchte ich nach den Dingen in der Tasche fragen. Für welche
Gegenstände gebrauchen wir Taschen? Dann geht die Frage nach der Art der
Taschen vom Einkaufskorb über den Rucksack zur Damenhandtasche. Um abschließend
einige Bemerkungen zur Bedeutung der Tasche für den Einzelnen zu
machen.
1. Der Blick auf die Dinge in der Tasche:
Grundausstattungen im Lebenskampf
Beginnen wir also mit dem Blick auf die Dinge in der
Tasche. Alle Interviewpartner zählten auf die Frage hin, was sie denn
normalerweise so immer dabei hätten, eine Reihe von Gegenständen auf. Fast alle
erzählten mir, daß sie immer die GSA-Mischung (= Geld, Schlüssel und Ausweis)
dabei hätten. Das ist für Männer und Frauen gleich. Diese Dinge dabei zu haben,
heißt auch, weitgehend für sich selbst die Verantwortung zu übernehmen,
erwachsen zu sein. Ein Kind kann meist ohne all diese Dinge sein. Solche, die
sie doch brauchen, haben einen eigenen Namen: Schlüsselkinder.
Bei der allgemeinen Verbreitung dieser GSA-Mischung stellt
sich die Frage, ob selbst ein so persönlicher Bereich, wie die eigene Tasche,
durch die industrielle Massenkultur bestimmt ist? An einem Taschenporträt als
Beispiel soll das einmal genauer geprüft sein. Eine mir bekannte 50-jährige
Dame leerte in froher Runde zum Spaß ihre Handtasche aus. Aus dem kleinen (etwa
17cm x 15 cm) blauen Ledertäschchen kamen folgende Dinge zum
Vorschein:
1. im vorderen Fach lose Geldscheine,
2. ein kleiner Geldbeutel für Kleingeld,
3. ein Plastiklöffel für Joghurt auf Reisen,
4. ein kleines Damentaschenmesser,
5. ein gelber Miniblock,
6. ein kurzer Bleistift,
7. ein Kuli,
8. ein Terminkalender mit eingelegtem Foto von Tochter und
Enkelkindern,
9. ein Lesebrille,
10. lose der Personalausweis,
11. lose ein Scheckkarte,
12. Grüne Karte vom Münchner Verkehrsverbund,
13. Haus-, Auto-, Fahrradschlüssel,
14. eine Klappschere,
15. ein Päckchen Tempos,
16. eine Lippenpomade,
17. ein Tübchen Herpessalbe,
18. eine Minitube Makeup,
19. ein Lippenstift,
20. Erfrischungstücher,
21. ein kleiner runder Spiegel,
22. ein Kamm.
Die Dame genoß sichtlich unsere Verwunderung, wieviel in
so einer kleinen Tasche Platz hat. Vieles kann deshalb nur in Miniausführung
mit, wie z. B. ein extra kurzer Bleistift, der Mini-Block oder die Pröbchentube
Makeup. Mit Findigkeit und Raffinesse sucht sie die geeigneten Sächelchen
zusammen. Improvisationsfreude und handwerkliches Geschick sind typisch für
diese Frau. Dafür dürfen auch die Werkzeuge, wie Schere und Messer, nicht
fehlen. Als ausgesprochener Darstellungstyp präsentiert sie ihr
Taschenspezialmix mit offensichtlichem Vergnügen.
Diese Dame hat zwar auf lauter vorgegebene Dinge
zurückgegriffen, sie hat aber alles nach ihren ganz speziellen Bedürfnissen aus
den Möglichkeiten verschiedener Stile und Geschmacksrichtungen individuell
zusammengesucht. Auch bei ihr ist selbstverständlich die GSA-Mischung unter
ihren Dingen dabei. Doch im Umgang damit zeigt sich schon der „Eigensinn“
[iii]
: Scheinbar unachtsam bewahrt sie ihr Papiergeld nur
lose im vorderen Fach auf, wo doch gerade Geld üblicherweise besonders gut und
sicher aufbewahrt wird. Könnte das ein Weigerung sein, vor der Macht des Geldes
zuviel Respekt zu zeigen? Es ist dieser Frau jedenfalls gelungen, mit ihrer
Tasche, trotz Anpassung an Notwendigkeiten und Üblichkeiten, sich ein Stück
Eigen-Sinn zu bewahren.
Auch bei den 31 Interviewpartnern glich kein Tascheninhalt
genau einem anderen. Doch alle Gesprächspartner sprachen von den Dingen, die
sie immer haben. Jedenfalls
hatten sie eine Vorstellung von der Vollständigkeit ihrer Dinge.
Viele berichteten im Laufe des Interviews, daß sie einen
festen Grundstock an Dingen in ihrer Haupttasche oder in jeder Tasche haben.
Die Dinge solcher Grundausstattungen vergaßen sie dann auch oft zuerst bei
ihren Aufzählungen: Sie sind ständig eingepackt, an sie muß man nicht denken.
Sie sind Grund-Ausrüstung im alltäglichen Lebenskampf. Ihre Beständigkeit und
Verfügbarkeit kann ein Stück alltäglicher Daseinssicherheit
vermitteln.
Vom lieben Geld
Das am häufigsten erwähnte Ding in der
Tasche ist das Geld bzw. der Geldbeutel. Eine junge Frau formulierte, daß Geld
eigentlich ihre Handtasche definiert: „…a Ding, wo ma halt – was weiß i – a
Geldbörse rein tut. Die tragt ma net einfach so rum.“ Für Notlagen wünschen
sich viele Gesprächspartner Geld. Dafür gibt es verschiedene Alltagsregeln, wie
z.B. „Geld muß man immer bei sich haben.“ Dahinter steckt die Vorstellung von
der Not-wendig-keit des Geldes. Solche Kraft wird dem Geld wegen seiner großen
Symbolkraft unterstellt: Der papierene Geldschein oder die Münze aus Blech
haben keinen materiellen Wert für sich, nur durch soziale Übereinkunft werden
sie zu Symbolen für Materie und Zahlungskraft. Geld hat darüber hinaus noch
eine weiter reichende symbolische Dimension: Mit Geld lassen sich in unserer
Gesellschaft nicht nur Güter kaufen, vielmehr wird der Besitz von Gütern zum
fast alleinigen Maßstab für persönlichen Rang. Solange es statusgläubige
Menschen gibt, kann man sich mit Geld auch ihre psychische Zuwendung erkaufen.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die starke Betonung des
Sicherheitsaspektes im alltäglichen Umgang mit Geld. Fast jeder hat Tricks, wie
er Bargeld am sichersten mit sich herumträgt. Regeln zur Sicherheit reichen bis
in den häuslichen Bereich: „Man soll Geld nicht offen herumliegen lassen.“
Offenheit im Umgang mit Geld gilt als besonderes Zeichen für familiäres
Vertrauen. Doch spätestens beim Bankkonto setzt die Eltern meist eine die
Grenze zu ihren Kindern. Erwachsenen untereinander verschweigen in der Regel
ihr Einkommen. Auch sprachlich ist nur unbestimmt von „Geld“, „a Geld“ oder
„etwas Geld“ die Rede. Selbst das Behältnis für Geld, der Geldbeutel wird
besonders behandelt. Obwohl heute der Kontostand viel mehr über die materielle
Potenz einer Person aussagt. Der Geldbeutel wird im und durch den Gebrauch zum
Zeichen für Zahlungsfähigkeit – für Macht.
2. Der Blick vom Material her:
Körbe und Rucksäcke als
Taschen für einen Zeit- und Lebensstil
Nicht nur die Dinge in der Tasche können zu Zeichen
werden, sondern auch die Taschen selbst. Die GSA-/Geld-Schlüssel-Ausweis-
Grundausrüstung, von der bisher die Rede war, tragen die meisten
Gesprächspartner in einer Handtasche. Daneben gibt es aber für jede Lebenslage
eine passende Tasche. Daraus sollen zwei spezielle herausgegriffen werden:
Körbe und Rucksäcke. Diese zweite Blickrichtung auf das Gebrauchsfeld Tasche
geht von der Materialität der Dinge aus.
Immer wieder erwähnten die Gesprächspartner Körbe. Sie
sind in ihrer Funktion klar festgelegt als Transportmittel zum Einkaufen oder
im Freizeitbereich. Sie gelten vielen als schön, weil sie aus Naturmaterial
hergestellt sind. Mit der ökologischen Bewegung wurden Körbe in den letzten
Jahren sehr modern. Sie stehen für eine natürliche Lebensform. Körbe als solche
sind oft schon ziemlich schwer in ihrem Eigengewicht. Die modische Zuschreibung
als schöne und natürliche Transportmittel aber läßt diesen Nachteil völlig
vergessen.
Als ebenso praktisch wie natürlich gelten heute Rucksäcke.
Für die älteren Interviewpartner waren sie vor allem Gegenstände zum Wandern.
Aus dieser Verwendung als Requisit im Kontakt mit der Natur rührt ein Teil
ihrer modernen Wertaufladung: Sie sind modisches Tragebehältnis zum Gebrauch in
der Natur, wie gleichermaßen in der Stadt. Sie gelten als leger, locker,
jugendlich und vor allem natürlich. Ihr Material ob Plastik in Neonschockfarben
oder Leder mit Leinen in Naturtönen spielt dabei keine Rolle.
Rucksäcke sind heute typisches Tragebehältnis für einen
bestimmten Lebensstil. Ein ältere Dame charakterisiert danach ihre beiden
erwachsenen Söhne: „Der eine ist Polizist und trägt Jeans und Anorak, und
benutzt einen Rucksack. Der andere arbeitet in einer Bank. Er ist ein ganz
anderer Typ, der mit Anzug und Aktenkoffer unterwegs ist.“ Vor allem junge
Menschen, die noch weniger eingebunden sind in ökonomische Zwänge, vermittelten
zuerst die Rucksackmode, z.B. Studenten mit ihren Studienrucksäcken.
Daraus ergibt sich folgendes Resümee: Korb und Rucksack
können Zeichen für einen Lebens- und Zeitstil sein, der gleichzeitig den Stil
bestimmter sozialer Gruppen ausmachen kann. Sie erhalten beide die sprachlichen
Etiketten „funktionell“ und „natürlich“. „Funktionell“ bedeutet aber keineswegs
an einen Zweck angepaßt, sondern eingepaßt in ein System von
Bewertungen.
Eine Handtasche macht die Dame aus.
Frauenbilder – Frauenrollen
Für einen Mann genügt es, Geld dabeizuhaben; den Frauen
dagegen wird nach dem gängigen Bild unterstellt, sie bräuchten etwas mehr. So
formulierte es eine Gesprächspartnerin: „Einen Spiegel, damit sie kontrollieren
kann, ob sie ordentlich aussieht. Die Männer, och Gott, die sehn ja immer schön
aus, auch wenn sie nicht schön sind. – Bilden sie sich ein.“ Um ihre Kosmetika
und sonstige Requisiten unterzubringen, braucht Frau ihre Handtasche. Nun geht
es sogar soweit, daß die Handtasche erst eine Dame ausmacht. – Es stimmt
sicher, daß es in unserer Gesellschaft überwiegend den Frauen überlassen
bleibt, sich mit ihrem Körper auszudrücken. Dazu gehört dekorative Kosmetik
genauso wie eine körperbetonte Mode, die meist keine auftragenden
Kleidertaschen erlaubt. Seit der Französischen Revolution gibt sich die
Herrenmode in zurückhaltenden Farben im bürgerlichen Einheitsanzug: Der Bürger
überzeugt allein durch Leistung.
Wobei die Damenhandtasche für einen Schritt der Frau in
die Öffentlichkeit steht. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sie sich aus
dem Reisegepäck. Als dann im ersten Weltkrieg auch Frauen zunehmend ins
Berufsleben eintraten und mit der Mode der Zwanziger Jahre die Frauenkleidung
figurbetonter und kürzer wurde brauchten auch Frauen eine Tasche. Die
Damenhandtasche wurde in dieser Zeit zum Kennzeichen der berufstätigen Frau.
Seit dem blieb die Mode kurz; frau konnte also nicht mehr die benötigten Dinge
in den Taschen der gebauschten Röcken unterbringen. Die Damenhandtasche ist
seitdem ein festes Accessoire zur Frauenkleidung. – soweit ein kleiner
historischer Rekurs.
Zum Bild von Frau gehört auch noch dazu, dass weibliches
Sprechen weniger auf harte Fakten abhebt, vielmehr steht die menschliche
Beziehung zum Gegenüber im Vordergrund. Es ist eine weibliche Tugend, offen auf
sein Gegenüber einzugehen, und die eigene Rolle den wechselnden Situationen
flexibel anzupassen. Die Damenhandtasche kann auch gelesen werden als ein
Zwischenbereich, der nicht mehr direkt zum Körper gehört, wohl aber noch zur
Person.
[iv] Auch
hier ist Frau offen gegenüber ihrer Umwelt. Die Handtasche enthält dazu einen
Fundus nötiger Requisiten.
– Soweit die Theorie, die sicher in grober Linie zutrifft.
Die Frau, die im Gegensatz zum Mann immer unnötig viele Dinge und vor allem
Kosmetika mit sich herum tragen muß, ist aber vor allem ein Bild in den Köpfen.
Wer hat nicht schon die Geschäftsmänner beobachtet, die aus ihren
hochoffiziellen Aktenkoffern Illustrierte, ein Apfel und sonstigen Kleinkram
herausziehen – und nicht immer nur Akten? Oder die zahlreichen Frauen, die auf
eine Handtasche aus praktischen Gründen verzichten? Solche Frauenbilder müssen
nicht einengen. Ich meine vielmehr, daß in der weiblichen Rollenvielfalt und
den zahlreichen Varianten der Taschenmode ein großer gestalterischer Spielraum
liegt, der sich uns als emanzipierten Frauen nach unserem individuellen
Geschmack eröffnet.
3. Der Blick vom Einzelnen aus:
Persönliche Dinge – Der
Tabubereich Tasche
Abschließend soll der Blick noch einmal vom Einzelnen
ausgehen. Diesmal nicht von seinem Ding, sondern von seinem Anspruch als
Person. Übereinstimmend bezeichneten meine Interviewpartner ihre Tasche als
einen „persönlichen“ Gegenstand. Die Dinge in der Tasche sind`s nicht, die so
persönlich sind. Auch den weiblichen Lippenstift kann frau ganz offen
benutzten. Trotzdem bleibt eine gewisse Scheu vor der Tasche. Für alle
Befragten des Forschungsprojektes ist die Tasche anderer etwas, das sie
achten, in das sie nicht ohne weiteres hineinschauen. Dies ist nur in wenigen
Situationen unter Vertrauten üblich oder möglich: „Also ich würd`s nie bei
andern machn, daß ich da in irgendwelche Handtaschen reinschau. Es sei denn
eine Freundin sagt: `Hol mal des und des!` Des is kein Problem.“ Für viele ist
ihre Tasche etwas, das sie sich vorbehalten. Die Wahrung dieser Grenzsetzung
fordern sie von anderen ein. Für manche dagegen ist ihre Tasche etwas, das
Vertrauten offensteht. Eine Mutter antwortete auf die Frage, ob ihre Familie in
ihre Handtasche schauen darf: „Ja, ja ohne weiteres. … Also mei, also grad
meine Töchter, die jüngste, die hat immer wieder so an Geldzählfimmel, die
sucht dann die Geldbeutel aus den Taschen raus und zählt nach, was wieviel Geld
jetzt jeder in der Tasche hat.“ Die familiäre Offenheit reicht hier sogar bis
zum Geldbeutel. Aber auch hier erzählten die Familienmitglieder immer wieder
von anderen abgegrenzten Bereichen: Möglichst vorsichtig fragte ich eine
Familienmutter nach ihrer persönlichen Tasche. Darauf sie: „Ach was. Ich kenn
viele Fraun, die stülpen des immer aus, wenn`s nix finden.“ Sie selbst benützt
keine Handtaschen. Aber von ihrem Schreibtisch sagte sie: „Da darf niemand ran,
nein. Da flipp ich aus, wenn da einer ran ging. Es is egal, ob des a
Radiergummi is oder, is wurscht.“ Sie, die sich sonst so locker gibt, ist hier
besonders streng.
So sichern sich alle ihren persönlichen Bereich: Sei es
eine Schublade, ein Kästchen oder eben die eigene Tasche. Die Form hängt von
Mentalität und Lebensumständen des einzelnen ab. Wichtig ist die Möglichkeit,
daß solch ein Bereich geschlossen oder verschlossen werden kann. Die Dunkelheit
in einer Tasche macht die Dinge darin sogar unsichtbar. Eine Tasche läßt sich
als Schutzbereich des einzelnen interpretieren. Nur man selbst hat darüber die
Verfügungsgewalt. Wichtig ist die damit offengehaltene Möglichkeit eines
Schutzes und Abschlußes, nicht die Dinge selbst. Mit der eigenen Tasche als
Tabubereich läßt sich ein Stück weit das jedem zustehende Recht auf Schutz
seiner Persönlichkeit im Alltag verwirklichen. Braucht nicht gerade in unserer
heutigen Massenkultur jeder einzelne von uns für seinen Alltag einen
dinglich-konkreten Freiraum?
In diesem Sinn wünsche ich uns alle immer eine Tasche zur
Hand. – für den Moment vielleicht am liebsten eine Maultasche auf dem
Löffel.
[i]
Loschek, Ingrid:
Taschen. In: Accessoires,.
Geschichte und Symbolik. München 1993, S.254 – 268, hier S.
254.
[ii]
Meggle, Margarete: In der Tiefe der
Tasche. Sprechen über sich und seine Sachen. München (Magisterarbeit
Typoskript) 1993, http://margaret.meggle-freund.de
[iii]
Siehe Selle, Gerd und Boehe,
Jutta: Leben mit den schönen Dingen. Anpassung und Eigensinn im Alltag
des Wohnens. Reinbek 1986.
[iv]
Vergleiche zur symbolischen Bedeutung
der Tasche Hülsenbeck, Annette: [Kultur]Taschen. Übergangsobjekte und
Gehäusereste. Accessoires in Zwischen-Räumen. In: Mentges, Gabriele
(Hrsg.): Geschlecht und materielle Kultur. Frauen-Sachen,
Männer-Sachen, Sach-Kulturen. Münster, New York, München, Berlin 200,
S. 185 – 214.