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Kalter Hund

Exotische Üppigkeit im Wirtschaftswunder

Das Stahlhaus aus Nerreth repräsentiert im Fränkischen Freilandmuseum des Bezirk Mittelfranken das 20. Jahrhundert. Es ist in vieler Hinsicht typisch für die Nachkriegszeit. Das 2011 im Freilandmuseum wiederaufgebaut Stahlhaus wurde 1949 in Nerreth aufgestellt. In dieser Zeit versuchten die MAN-Stahlwerke eine Stahlbau-Fertighaus-Produktion zu etablieren. Stahl war der angesagte moderne Werkstoff, und davon gab es noch Reste aus der Rüstungsproduktion, die zu dieser Zeit ruhte. Im zerbombten Deutschland herrschte großer Wohnungsmangel. Durchsetzten konnte sich die Idee des Stahlbau-Fertighauses dennoch nicht. Aber das Stahlhaus im kleinen Weiler Nerreth bot für Generationen ein ländliches Idyll. Es steht für eine moderne Lebensweise. Wohnen und Arbeiten sind getrennte Lebensbereiche; im Stahlhaus wurde nur gewohnt. Der Garten ist kein reiner Nutzgarten, sondern dient mit seinen Blumen und Ziersträuchern eher als Erweiterung des Wohnbereichs. Das Wohnzimmer hat eine Türe direkt nach draußen auf die Terrasse. Dort suchte die Familie mitten im Grünen Erholung.

Stahlhaus aus Nerreth im Fraenkischen Freilandmuseum, Foto Ute Rauschenbach

Charakteristisch für die Nachkriegszeit, in der das Nerrether Stahlhauses entstand, ist ein sich rasant entwickelndes Bedürfnis nach reichhaltigen Speisen, das als Reaktion auf die Hungerjahre der Nachkriegszeit zu erklären ist. Dieses Phänomen der Nachkriegszeit wird auch als „Fresswelle“ des Wirtschaftswunders bezeichnet. Auf diese Zeit geht das Rezept „Kalter Hund“ zurück, das während der Wirtschaftswunderzeit sehr beliebt war. Mit hoher Wahrscheinlichkeit fand „Kalter Hund“ auch zum Kindergeburtstag im Garten des Stahlhauses aus Nerreth seine Liebhaber. „Kalter Hund“ ist ein schlichtes Rezept – ein Kuchen ohne Backen. Kekse werden mit einer Masse aus gehärtetem Kokosfett und Schokolade zusammengehalten. Voraussetzung dafür sind zwei industriell hergestellte Lebensmittel: gehärtetes Kokosfett, das seit 1894 unter der Marke „Palmin“ im Handel war, und fertige Butterkekse. Das gehärtete Fett lässt die Schokomasse schnittfest werden. Die abgepackten Kekse sind relativ billig und schnell verfügbar. Seit 1903 verkaufte die Firma Bahlsen Kekse nicht mehr lose wie bisher, sondern in einer Verpackung, die sie lange haltbar machte. Außerdem war Bahlsen die erste Firma, die 1905 in Europa eine Fließbandproduktion für Lebensmittel einführte. Bereits in den 1920er Jahren gab sie ein Rezept für einen Schokoladen-Kuchen auf Basis von Leibnitzkeksen heraus. Aber erst in der Wirtschaftswunderzeit wurden dessen Zutaten für viele erschwinglich und verfügbar. Im Kochbuchklassiker „Das Bayerische Kochbuch“ findet man den Kekskuchen unter dem Namen Lukullus. Im DDR-Backbuchklassiker „Das Backbuch“ aus dem Verlag „für die Frau“ in der 27. Auflage von 1989 ziert der Kekskuchen gar das Titelblatt des Buchs. Weil der „Kalte Hund“ so einfach zuzubereiten ist, wird er immer wieder zum Selbermachen für Kinder empfohlen.

Den Rezepten der Fünfzigerjahre und aus der DDR merkt man den Sparzwang noch an. Sie verwenden rohe Eier, reichlich Zucker und gesüßtes Kakaopulver. Manchmal wird zum Kokosgeschmack als weiteren exotischen Luxus noch löslicher Kaffee als Gewürz verwendet – aber keine echte Schokolade. Heute stellen wir eine modernisierte Variante mit nativem Kokosöl und hochprozentiger Zartbitterkuvertüre vor. So erhält der „Kalte Hund“ die Geschmacksnote Zartbitter. Wir servieren den kalten Hund auf einer hellgelben Tischdecke, eine der in den Fünfzigerjahren so beliebten Pastellfarbe. Für das Landhaus darf es gerne handgewebt in Leinenoptik sein. Aufgeschnitten wird der Kalte Hund auf einem Kunststoffbrettchen aus Melamin, das in der der Nachkriegszeit sehr modern war.

Im Wohnzimmer des Stahlhauses aus Nerreth, Foto Lisa Baluschek

Kalter Hund, Foto Margarete Meggle-Freund

Für eine 21 cm lange Kastenform benötigt man 400 g dunkle Kuvertüre, 200 g Sahne, 50 g Kokosöl, 2 Esslöffel Kakaopulver, 250 g Butterkekse. Als Gewürze werden 2 Esslöffel gemahlener Kokosblütenzucker, 1 Päckchen Vanillezucker, nach Belieben Rum, gemahlener Zimt und Galgant verwendet.

Eine Kastenform wird mit Frischhaltefolie ausgelegt, damit man dann später den gestockten Kuchen leichter aus der Form heben kann. Das Kokosöl und die Kuvertüre werden im Wasserbad geschmolzen. Sahne, Kakaopulver, Kokosblütenzucker, Vanillezucker, Rum und Gewürze mit dem Schneebesen langsam unterrühren und die Schokomasse schaumig schlagen. Zuerst eine Schokoschicht, dann immer abwechselnd Kekse und Schokomasse in die Form geben; mit einer Schokoschicht abschließen. Einige Stunden im Kühlschrank fest werden lassen. Dann stürzen und in Scheiben schneiden. Wenn der Kuchen ein bis zwei Tage steht, zieht er stärker durch und schmeckt noch besser. Wer es süßer mag, kann natürlich Vollmilchkuvertüre verwenden und Puderzucker nach Belieben zugeben. In seiner Üppigkeit macht sich das Rezept auch gut als Konfekt: Dazu einfach die Kekse etwas flacher schichten, oben auf geröstete Nüsse, Kokosflocken oder Zuckerstreusel als Dekor streuen und in kleine Würfel geschnitten servieren.

In meiner Kulinarikserie des Fränkischen  Freilandmuseum Bad Windsheim finden sich alte und erneuerte Rezepte mit Zutaten aus Franken, einfach und alltäglich, oder auch einmal aufwendigere, kreative Rezepte mit kulturhistorischem Hintergrund.

© Dr. Margarete Meggle-Freund
Kulturwissenschaftlerin
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